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Als erstes Team ist der SV Darmstadt 98 in die Vorbereitung gestartet. Zum Auftakt der Vorbereitung stand Trainer Dirk Schuster Rede und Antwort

, sprach über Lehren aus der WM, die Probleme in der vergangenen Saison und die Perspektiven für die anstehende Spielzeit.

Frage: Herr Schuster, Sie stecken schon mitten in der Vorbereitung für die neue Saison. Kommen Sie da eigentlich dazu, die Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft zu gucken?

Dirk Schuster (DS): Ja klar, vor allem die 20-Uhr-Spiele. Bei den Spielen davor ist es etwas schwieriger. Die Partien sind aus taktischer Sicht hoch interessant. Die kleinen Mannschaften waren oft in der Lage, die großen Teams zu ärgern. Es war gut zu sehen, wie schwer sich manche Teams tun gegen eine gut strukturierte Vierer-, Fünfer- oder Sechserkette, wenn die Räume zugemacht werden und schnell nach vorne gespielt wird. Viele Mannschaften haben zunächst eine hohe eigene Torsicherung, lassen wenig zu und schalten dann schnell auf Angriff um. Eine Ausnahme war vielleicht Brasilien. Die wollen immer einen dominanten Fußball spielen. Die deutsche Mannschaft hat das versucht, hat es aber nicht hinbekommen.

Frage: Haben Sie eine Erklärung für das enttäuschende Abschneiden der deutschen Mannschaft?

DS: Ich glaube, dass die Probleme teilweise schon vor der Weltmeisterschaft losgingen und dass man sie nicht richtig bewältigt hat. Zum Beispiel  die Erdogan-Geschichte. Da hätte man meiner persönlichen Meinung nach vielleicht anders reagieren können, als das der DFB gemacht hat. Auch den Kader hätte ich persönlich ein wenig anders zusammengestellt. Aber der Bundestrainer wird dafür seine Gründe gehabt haben. Im Nachhinein kann man ja immer klug daherreden.

„Eine gewisse Sorglosigkeit“

Frage: Sie hätten Sandro Wagner und Leroy Sane mitgenommen?

DS: Ja, die beiden hätte ich definitiv mitgenommen. Aber auch für diese Entscheidung wird der Bundestrainer gute Gründe gehabt haben, die man respektieren muss. Aber es hat auch an der Art gelegen, wie wir Fußball gespielt haben. Das Tempo hat gefehlt, der richtige  Zug zum Tor. Man war hinten relativ anfällig. Das hat sich schon im ersten Spiel gegen Mexiko gezeigt. Der Sieg gegen Schweden hat vieles übertüncht. Und dann hat man im Spiel gegen Südkorea seine Chancen nicht mit aller Brutalität genutzt und wohl den Grundgedanken gehabt, man wird das Spiel schon 1:0 oder 2:0 gewinnen. Ich würde das nicht als Überheblichkeit bezeichnen, sondern als eine gewisse Sorglosigkeit.

Frage: Zu den Lilien: Sie haben schon Mitte Juni wieder mit dem Training begonnen. Was ist der Grund dafür, so früh zu starten?

DS: Wegen der WM war die Saison für uns schon am 13. Mai beendet. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, früh zu starten, um die Mannschaft körperlich fit zu machen für die komplette Runde. Ich denke, dass die Spieler in sechseinhalb Wochen Urlaub zu viel Physis verloren hätten. So sind wir auch dem Risiko aus dem Weg gegangen, dass sich ein Gummibärchenbauch ansetzen kann (lacht). Im Urlaub haben sich alle unsere Spieler diszipliniert an ihre Trainingspläne gehalten.

Frage: Ist es nicht schwer, die Spannung in einer so langen Vorbereitung hochzuhalten?

DS: Das ist schon eine Herausforderung. Aber ich denke, dass wir bei Trainingsstruktur und Inhalten sehr variabel aufgestellt sind, um den Spielern das mitzugeben, was sie brauchen – körperlich, aber auch taktisch oder mit Blick auf die Schnelligkeit. Wir versuchen, der Mannschaft zu vermitteln, dass Arbeit Spaß machen kann. Aber man muss konzentriert sein.

„Den Kader umstrukturieren und den Konkurrenzkampf steigern“

Frage: Darmstadt ist mit so vielen Spielern wie nie in den vergangenen Jahren die Vorbereitung gestartet. Inwiefern wird sich das Gesicht der Mannschaft bis zum Saisonstart noch verändern?

DS: Es wird sich noch etwas tun. Wir haben nach dem letzten Spieltag einigen Spielern einen Wechsel nahegelegt, weil sei kaum Aussichten auf Einsatzzeiten haben. Wir wollen den Kader ein wenig umstrukturieren und den Konkurrenzkampf steigern. Da brauchen wir noch drei bis vier Transfers, die die Qualität der Mannschaft bedeutend erhöhen. Dass wir uns die Hochkaräter von der WM nicht leisten können, dürfte allseits bekannt sein. Aber wir sind in Gesprächen mit verschiedenen Spielern. Grundsätzlich bietet die Struktur des Kaders schon ein gutes Grundgerüst, uns weiterzuentwickeln. Das ist der große Unterschied zu den Jahren zuvor, wo wir mit wesentlich weniger Spielern gestartet sind.

Frage: Ist es im Moment leichter, Spieler zu holen oder Spieler zu verkaufen?

DS: Da besteht eine enge Wechselbeziehung. Alle Spieler, die unter Vertrag sind, gehören zum Kader. Wenn man dann noch neue Spieler dazu holt, wird  der Kader aufgebläht. Das erhöht schon im Training die Unzufriedenheit. Man kann auch dort nur elf gegen elf Spielen. Wenn man 28 Spieler hat, ist es problematisch, die anderen sechs zu beschäftigen. Das wollen wir vermeiden.  Zudem spielt die wirtschaftliche Komponente eine Rolle.

Frage: Die drei Leihspieler Baris Atik, Romain Brégerie und Dong-Won Ji hätten Sie nach eigener Aussage gerne gehalten. Jetzt hat Atik in Dresden unterschrieben. Was haben die, was Darmstadt ihm nicht bieten kann?

DS: Da müssen sie Baris fragen. Wir waren mit ihm und mit Hoffenheim im Austausch. Vielleicht hat ihm Dresden bessere Perspektiven aufzeigen können. Aber ich war nicht dabei. Er hat sich für Dresden entschieden, das müssen wir akzeptieren.

Frage: Mit der Verpflichtung von Marcel Franke sind sie in der Innenverteidigung inzwischen gut besetzt. Heißt das, dass eine Verpflichtung von Brégerie jetzt nicht mehr die höchste Priorität hat?

DS: Das stimmt, ja.

„Marcel Heller ist immer interessant“

Frage: Und bei Offensivspieler Ji?

DS: Da sind wir im Austausch. Aber er hat nur noch ein Jahr Vertrag in Augsburg, da fällt die Option einer weiteren Ausleihe weg. Er hat sich bei uns sehr wohl gefühlt und bedeutend zum Klassenerhalt beigetragen. Ich würde ihn gerne halten. Aber da spielt auch Augsburg  eine Rolle.

Frage:  Wenn wir schon bei Augsburg sind – wäre Marcel Heller nicht eine Option für Darmstadt? Gerade weil  Sie ja kaum schnelle Flügelspieler haben.

DS: Marcel Heller ist für Darmstadt immer interessant. Er hat hier eine riesen Zeit gehabt. In Augsburg ist es – so glaube ich – nicht so ganz gelaufen, wie er sich das vorgestellt hat. Aber auch da gilt: Er hat noch ein Jahr Vertrag.

Frage: Im vergangenen Sommer unter Torsten Frings wurden zahlreiche Spieler mit längerfristigen Verträgen ausgestattet. Es hieß, man wolle perspektivisch etwas aufbauen. Jetzt werden Sie diese Spieler nicht mehr los. Sind Sie ein Anhänger kurzer Vertragslaufzeiten?

DS: Das ist zweischneidig. Wenn man einen langfristigen Vertrag mit einem Spieler hat und der schlägt ein, kann man damit natürlich gute Transfererlöse erzielen. Aber wenn man langfristige Verträge vergibt und der Spieler funktioniert nicht so wie gedacht, hat man Schwierigkeiten, andere Wege zu gehen. Da muss man einen gesunden Mittelweg gehen. Bei Marcel Franke ist das mit der Vertragsgestaltung überragend gelaufen (Anmerkung: ein Jahr Leihe mit anschließender Kaufoption). Ich bin eher dafür, dass die Verträge, wenn möglich, leistungsorientiert aufgestellt werden, dass sie sich verlängern, wenn es funktioniert.

„Wir haben nie aufgegeben“

Frage: Rückblickend auf die vergangene Saison. Wieso stand das Team so lange unten drinnen?

DS: Wir haben im Winter nach dem Trainerwechsel eine gewisse Anlaufzeit gebraucht. Wir mussten an einigen Stellschrauben drehen, neue Spieler integrieren. Teilweise hat uns auch ein bisschen das Spielglück gefehlt. Ich denke da vor allem an die vier Spiele, die wir hintereinander verloren haben. Dass es funktioniert, haben wir in den Spielen danach eindrucksvoll bewiesen. Am Ende hat sich die Mannschaft noch mit dem Klassenerhalt belohnt, den extern fast niemand mehr für möglich gehalten hat – besonders als wir sechs Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz hatten. Aber wir haben nie aufgegeben.

Frage:  Ausschlaggebend waren auch die drei Siege in Folge zum Schluss. Schon nach dem 3:1 gegen Berlin haben Sie von einem „großen Schluck“ aus der Glückspulle gesprochen. Mit den beiden glücklichen Siegen gegen Regensburg und Aue haben sie die Pulle dann wohl bis auf den letzten Tropfen geleert …  Das hätte aber auch schief gehen können, oder?

DS: Natürlich. Aber das hat auch gezeigt, dass die Pulle noch ganz voll war, weil wir davor gar nichts daraus getrunken hatten (lacht).

Frage: Am Ende war es dann doch noch Platz zehn. Das kann ja blenden …

DS: Wir waren bis zum 33. Spieltag unter dem Strich. Das ist Aussage genug. Für den Verein war es beinahe existenziell notwendig, dass wir es überhaupt geschafft hatten. Dass wir mit einem tiefdunkelblauen Auge nochmal davon gekommen sind, sollte uns ganz hellhörig machen für die Zukunft.

„Im spielerischen Bereich noch Luft nach oben“

Frage: In der Rückrundentabelle waren Sie am Ende Vierter. Wenn dieser Trend sich fortsetzt, müssten Sie doch kommende Saison um den Aufstieg mitspielen?

DS: Das wäre jetzt wirklich verblendet (lacht). Mit dem vierten Platz haben wir gezeigt, dass man die Punkte einfahren kann, wenn man in jedem  Spiel bereit ist, über die Grenzen zu gehen. Und die Lehre daraus ist auch, dass man mit einem Unentschieden gut fahren kann. Gerade die Unentschieden in Nürnberg und Kiel haben uns gut getan, weil sie gezeigt haben, dass wir mit den Spitzenteams mithalten können. Was ein Unentschieden wert ist, merkt man immer erst, wenn man mal so sein Spiel verloren hat.

Frage: Wo müssen Sie in der kommenden Saison besser werden?

DS: Ich denke, wir haben noch Luft nach oben im spielerischen Bereich. Auch bei den Standardsituationen werden wir nochmal den Hebel ansetzen, damit wir da variabler werden. Und was wir unbedingt verhindern müssen ist, dass man uns einen Rucksack aufpackt nach dem Motto: „Jetzt müssen wir aber … sonst könnte es gefährlich werden“.  Wir wollen von Anfang an die nötigen Punkte einfahren, um eine ruhigere Saison  zu haben.

„Trainingsbedigungen zählen zu den besten der 2. Liga“

Frage: Als Ziel für die nächste Spielzeit haben Sie „eine sorgenfreie Saison“ ausgegeben. Das heißt also besser als Platz zehn?

DS: Ich würde das nicht am Platz festmachen. Ich denke, wir sind in dieser Beziehung ein gebranntes Kind. Klar sind wir ehrgeizig. Klar sind wir fleißig. Klar wollen wir so viele Punkte wie möglich holen. Aber um jetzt hochtrabende Ziele auszugeben – dafür sind wir die Falschen.

Frage: Sie haben in Ihrer ersten Zeit bei Darmstadt immer wieder über die Infrastruktur geschimpft. Mittlerweile hat sich einiges geändert. Wie ist der Verein aus Ihrer Sicht aktuell da aufgestellt?

DS: Top. Wer meckern kann, muss auch mal loben. Die Trainingsbedingungen zählen definitiv zu den besten in der 2. Liga. Wir haben zwei Trainingsplätze mit Flutlicht, einer zusätzlich mit Rasenheizung – und sie werden alle überragend gepflegt. Da hat sich sehr viel bewegt, auch weil die Vereinsführung die richtigen Entscheidungen getroffen hat.

Frage: Stellen Sie sich doch zum Abschluss mal vor, es würde über Nacht hier in Darmstadt ein Wunder passieren. An was würden Sie das morgen merken?

DS: Dann würde ein neues Stadion hier stehen (lacht).

(Das Interview wurde in Auszügen bereits in anderen Medien veröffentlicht. Die Komplettfassung gibt es nur hier.)

 

 

Bildquellen

  • Dirk Schuster: Arthur Schönbein

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