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„Toni Sailer fällt definitiv aus“, behauptete Lilien-Trainer Dirk Schuster zwei Tage vor dem ersten Relegationsspiel gegen Arminia Bielefeld. Doch dann stand Sailer plötzlich bei der ersten Begegnung in der Startformation und absolvierte beim sensationellen 4:2 im Rückspiel die kompletten 120 Minuten. Gut geblufft vom Taktik-Fuchs Schuster? Mitnichten! Dass Sailer gegen Bielefeld auflaufen konnte, war ein medizinisches Wunder – das Wunder vor dem Wunder, wenn man so will.

„Als ich über den Platz gelaufen bin, habe ich geweint“

„Das war eigentlich unmöglich“, erinnert sich Sailer heute, gut fünfeinhalb Jahre später, an seinen Einsatz. „Ich hatte mir viereinhalb Wochen vorher die Aduktorensehne im Oberschenkel gerissen. Ich bin zum DFB-Stützpunkt nach Frankfurt gefahren, die haben dort eine Kernspintomografie gemacht, und der Arzt hat mir danach gesagt: ‚Sechs Monate bist du damit weg!'“

Da habe er eigentlich mit der Saison abgeschlossen. „Ich bin nach Darmstadt zurück, habe es dem Dirk, dem Trainerteam und den Jungs gesagt. Als ich über den Platz gelaufen bin, habe ich geweint.“

Die Astronauten-Maschine

Mitspieler Jérôme Gondorf habe ihm dann die Telefonnummer eines Physiotherapeuten aus Karlsruhe gegeben, der mit einem damals relativ neuen Gerät gearbeitet hat. „Das haben auch die Astronauten, um sich selber zu behandeln, wenn sie im All sind und keine Physiotherapeuten haben.“ Er habe es auf den Versuch ankommen lassen, schließlich habe er ja nichts zu verlieren gehabt.

Dreieinhalb Wochen habe er sich in Karlsruhe bei einem Freund einquartiert. Zweimal am Tag sei er für jeweils eine Stunde behandelt worden. „Das Gerät macht Dich so kaputt, dass Du nach Hause kommst und schläfst. Du isst was, gehst zur Behandlung und schläfst wieder. Mein Körper war fix und fertig. Ich war fix und fertig.“

„Dirk, ich probier’s heute“

Zwei Tage vor dem Spiel sei der Entzündungswert aber dann tatsächlich so niedrig gewesen, dass wieder an Balltraining zu denken war. „Ich bin mit dem Physiotherapeuten auf einen Trainingsplatz irgendwo bei Karlsruhe gefahren. Er hat mir ein paar Bälle zugeworfen und zugepasst. Das haben wir eine Stunde lang gemacht, und dann habe ich gesagt: ‚Okay, fühlt sich gut an.'“Einen Tag vor dem Spiel sei er dann zum Training in Darmstadt und habe dem Trainer gesagt: „Dirk, ich probier’s heute!“

Und dann stellte ihn Schuster tatsächlich am nächsten Tag in der Startformation auf. „Bis heute muss ich ihm unendlich dankbar sein, dass er einem Spieler, der vier Wochen keinen einzigen Tag trainiert hat, dann zum Abschlusstraining kommt und eine halbe Stunde mitspielt, das Vertrauen geschenkt hat, beim wichtigsten Spiel der Saison mitanzugehen.“

Am Rande des Neujahrsempfangs hat der Lilienblog lange mit Toni Sailer gesprochen: Offen und reflektiert plauderte der mittlerweile 34-Jährige über gestern und heute – von seinem Werdegang, dem „Wunder von Bielefeld“, seinem einzigen Bundesliga-Tor, seinem Kult-Bart bis hin zu seinen heutigen Plänen. Nahezu jede Antwort ist eine Geschichte für sich. Mal lustig, mal nachdenklich, meist anrührend und immer sehr ehrlich. Diese Geschichten gibt der Lilienblog in einer Toni-Sailer-Serie wieder.

Teil 1 „Lampenfieber und Umorientierung
Teil 2 „Das alte Stadion hat mir besser gefallen
Teil 3: „Das mit Hanno kam von Herzen

In Teil 5 geht es am Mittwoch um Sailers einziges Bundesliga-Tor und sein Selbstverständnis als Profi.

 

Bildquellen

  • 46: Arthur Schönbein

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