Von Bundesligist Union Berlin zum (noch) Zweitligisten SV Darmstadt 98 – der neue Athletikcoach Christopher Busse erklärt im Lilienblog-Interview die Gründe für seinen freiwilligen Abstieg, spricht über Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Vereinen, das Thema Aufstieg und verrät, dass die Spieler ihm dafür dankbar sind, wenn er sie auch einmal quält.
Christopher, Du bist jetzt rund zwei Monate beim SV Darmstadt 98. Wie sind die ersten Eindrücke?
Die ersten Wochen bei einem neuen Verein sind immer auch eine Findungsphase. Die Menschen hier haben es mir sehr leicht gemacht. Die Bedingungen sind super. Aber wir sind auch noch nicht komplett fertig. Es gibt Sachen, die hier noch weiterentwickelt werden können. Es macht mir Spaß, das voranzutreiben. Das war auch ein Grund, um nach Darmstadt zu kommen.
Provokant gefragt: Union Berlin ist Bundesligist, wieso bist Du freiwillig eine Liga zurückgegangen?
Zum einen hat sich mein privater Lebensmittelpunkt hierher verschoben. Auf der anderen Seite wollte ich auch wieder als Athletiktrainer arbeiten. Das hatte ich schon in Cottbus gemacht. Danach habe ich den Schritt zum Reha-Trainer in Berlin gemacht, weil ich auch diesen Bereich studiert hatte und die Aufgaben im Detail kennenlernen wollte. Und jetzt war es an der Zeit, wieder etwas Neues zu machen. Der Kontakt kam schließlich zustande, als ich den Tipp bekam, dass hier ein Athletiktrainer gesucht wurde, weil Kai Peter Schmitz mehr in Richtung Videoanalyse gehen wollte.
Wie sieht Deine Arbeit im Detail aus?
Das Schöne ist, dass ich hier in ein funktionierendes System gekommen bin. Für mich lag der Fokus zunächst darauf, die Spieler kennenzulernen und zu sehen, wo ihre Stärken und Schwächen sind und wo sie noch Potenzial haben. Ich versuche, die Jungs im individuellen Bereich abzuholen, mache mit ihnen Extraeinheiten zum Beispiel im Kraftraum. Aber natürlich ist die Aufgabe des Athletiktrainers auch, mit dem Cheftrainer die Trainingssteuerung abzustimmen, um die Jungs frisch und fit fürs Wochenende zu machen.
Als Athletiktrainer musst Du die Spieler auch manchmal quälen. Wie wirkt sich das auf Euer Verhältnis aus?
Das sind alles Profis, die wissen, dass sie das brauchen. Natürlich sind da manchmal auch Schweineeinheiten dabei. Theoretisch könnte ich die Jungs innerhalb von zwei Tagen körperlich komplett fertigmachen, das wäre nicht schwierig (lacht). Aber das ist natürlich nicht Sinn der Sache. Es geht darum, den Jungs zu vermitteln, warum sie spezielle Übungen machen müssen. Dann ziehen sie mit. Schön ist, wenn danach einer auf mich zukommt und sagt: „Chris, das ist genau das, was ich noch gebraucht habe.“
Machst Du alle Einheiten auch selbst mit?
Nein, meine Aufgabe als Trainer ist es, die Jungs in den Einheiten dorthin zu bekommen, wo sie hinmüssen. Wenn ich zum Beispiel die Intervallläufe selbst mitmachen würde, wäre bei mir auch irgendwann der Moment erreicht, wo der Sauerstoff nicht mehr so vorhanden wäre, wie er vorhanden sein müsste. Und dadurch würde sich dann auch der Fokus verschieben, ich könnte die Jungs somit nicht mehr so aufmerksam betreuen. Das soll natürlich nicht sein. Ich kann meine eigenen Einheiten ja vor oder nach dem Training fahren.
Wie sieht die Fußballer-Vita von Christopher Busse aus?
Als Kind habe ich Fußball gespielt, aber relativ schnell festgestellt, dass das als aktive Sportart nicht das Richtige für mich war. Danach habe ich mich in verschiedenen Sportarten ausprobieren dürfen. Das war wichtig. Auch später im Sportstudium habe ich zum Beispiel in der Leichtathletik oder beim Geräteturnen viel gelernt, was mir heute bei meiner Arbeit hilft. Im Basketball war ich auf dem Sprung zur U19-Nationalmannschaft, habe mich dann aber schwer verletzt und schließlich entschlossen, da einen Schlussstrich zu ziehen.
In den Trainerstäben findet man relativ viele Ex-Fußballer. Du hast einen akademischen Hintergrund. Nutzt Dir das oder wirst Du womöglich auch etwas kritisch beäugt?
Aus taktischen Dingen halte ich mich raus, es sei denn, sie haben einen athletischen Hintergrund. Ansonsten sind die Trainer heute sehr offen für akademischen Input. Ohnehin sehe ich mich vor allem als Sportler. Alles, was ich mache, hat eine wissenschaftliche Basis. Aber der Mensch steht im Vordergrund. Denn es gibt Spieler, die brauchen in ihrer Freizeit etwas anderes, als achteinhalb Stunden zu schlafen und immer das Richtige zu essen und zu trinken. Das ist dann zwar nicht das, was die Wissenschaft empfiehlt. Aber würde ich solche Spieler in ein Schema pressen, würde das ihre Leistungsfähigkeit verschlechtern. Da kommt es auf die richtige Abstimmung an – und auf einen Blick, der nicht nur die ein oder zwei Stunden Training umfasst, sondern den gesamten Tag.
Siehst Du Gemeinsamkeiten zwischen Union Berlin und dem SV Darmstadt 98?
Beides sind traditionsreiche, eher kleinere, sehr familiäre Vereine, wo man sich untereinander kennt. Klar ist Union in Berlin. Aber Köpenick ist auch nicht so viel größer als Darmstadt (Anmerkung: Hier liegt Busse nicht ganz richtig, Darmstadt ist deutlich größer als der Berliner Stadtteil Köpenick). Wenn ich die Strukturen in Darmstadt vergleiche mit denen in Berlin zu Zweitliga-Zeiten, dann ist man hier schon sehr weit. Den Kraftraum hier ist zum Beispiel wirklich top eingerichtet. Da muss ich Kai Peter Schmitz ein Riesenkompliment machen.
Du bist mit Union 2019 in die Bundesliga aufgestiegen. Wieso steigst Du dieses Jahr mit Darmstadt auf?
(Lacht) Hoffentlich, weil die Mannschaft entsprechend performt. Zwar waren die Corona-Fälle in den vergangenen Wochen nicht so optimal für den Endspurt. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir die Spieler relativ schnell wieder mit voller Leistungsfähigkeit integrieren können. Das Gute ist, dass wir hier keinen negativen Druck mit hohen Erwartungen oder finanziellen Zwängen haben. Wir wollen einfach probieren, weiter so zu performen.
Du hast das Thema Corona-Infektionen angesprochen. Vor welche Herausforderungen stellt Dich das als Athletiktrainer?
Wenn die Jungs sieben oder zehn Tage in die Isolation müssen und nicht viel machen können, wirft sie das natürlich zurück. Da muss man sie wieder so heranführen, dass sie in die hochintensive Belastung gehen können – sowohl muskulär, wie auch mit Blick auf Herz und Lunge. Leider reagieren nicht alle Spieler gleich. Manche steigen nach einer Erkrankung mit Symptomen ohne Probleme wieder ein. Andere haben keine Symptome, bekommen danach aber Probleme, wenn es im Training in den roten Bereich geht. Da ist die richtige Belastungssteuerung ganz besonders gefragt.
Zur Person:
Christopher Busse kam am 16. November 1989 – eine Woche nach dem Mauerfall – in Rathenow in Sachsen zur Welt. Er studierte zunächst Sporttherapie und Prävention in Potsdam, später Sportwissenschaften in Köln. Hinzu kamen Auslandsaufenthalte in den USA und Brasilien. Von 2016 bis 2018 war er Athletiktrainer bei Energie Cottbus. Anschließend war er gut drei Jahre lang Reha-Trainer bei Union Berlin. Seit dem 1. Februar arbeitet er als Athletiktrainer beim SV Darmstadt 98
Geänderte Version: Der Titel „Köpenick ist auch nicht so viel größer als Darmstadt“ wurde geändert, weil Darmstadt deutlich größer ist als Köpenick
Bildquellen
- SGD-SVD-2021-22-blog-0003b: Arthur Schönbein
- SGD-SVD-2021-22-blog-0003d: Arthur Schönbein
Ich musste wegen meines Korinthenkacker-Gens natürlich gleich mal nachschauen. Auf der Seite des Bezirksamts Treptow-Köpenick wird die Einwohnerzahl Köpenicks mit 60152 (Stand 30.6.2012) angegeben, die Fläche mit 34,9 Quadratkilometer. Darmstadt ist also dreieinhalbmal so groß (122,2 Quadratkilometer) und hat rund 100000 Einwohner mehr.
Das soll aber nicht weiter stören, schließlich scheint Christopher Busse ein kluger und fähiger Mann zu sein. Und er ist ja nicht als Geograph, sondern als Athletiktrainer bei den Lilien angestellt. 😉
Vielen Dank für den Hinweis, ich hatte auch nachgesehen, allerdings erst, nachdem der Text online war. Die Überschrift ist schön, aber ich ändere sie mal, weil sie einfach falsch ist.