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Kurz nach seiner Profikarriere hat Carsten Wehlmann zwei Jahre in Katar gearbeitet. Im Lilienblog-Interview spricht der Sportliche Leiter des SV Darmstadt 98 über seine Erfahrungen damals, die für ihn nicht nur ein großes Abenteuer waren, sondern ihm auch wichtige Erfahrungen für seine heutige Arbeit beschert haben. Auch wenn Wehlmann in seiner damaligen Position als Leiter für Organisation und Infrastruktur bei der Qatar Stars League (QSL) deutlich mehr Privilegien genoss als die Gastarbeiter auf dem Bau oder in der Gastronomie – wenn er aus Katar ausreisen wollte, musste er sich das vorab von seinem Arbeitgeber schriftlich genehmigen lassen.

Carsten, du hast von 2007 bis 2009 zwei Jahre in Katar gelebt und gearbeitet. Was war der Grund für dein Engagement?

Der asiatische Fußballverband AFC hatte damals ein Programm aufgelegt, um die Ligen und deren Management zu professionalisieren. In diesem Zusammenhang sind auch einige Leute aus Deutschland und anderen Nationen in verschiedenen Funktionen dorthin gegangen.

Und wie kam es dazu, dass ein Carsten Wehlmann, der gerade erst seine Profi-Torhüterkarriere beendet hatte, dafür ausgewählt wurde?

Ich hatte schon zu meiner Zeit als Spieler etwas über den Tellerrand hinausgeguckt, ein Praktikum bei einem Sportvermarkter gemacht und für eine Scouting-Firma gearbeitet, die eine Software vertrieben hat. Der Kontakt kam dann über Dieter Meinhold zustande, der früher Sportvorstand in Bochum gewesen ist und selbst in leitender Funktion nach Kater gegangen ist.

Wie kann man sich deine Arbeit vorstellen?

Als wir in Katar angekommen sind, mussten wir erst mal einiges selbst organisieren und aufbauen. Der Mann unserer Sekretärin war Betreiber einer Sportsbar und hatte in der Bar Büroräume frei, in die wir zunächst eingezogen sind. Unsere Wohnung hatte nur eine Klimaanlage. Für den Winter mussten wir uns Heizungen organisieren. Auch kurios: Es gab zwar einen Gasherd, der aber nicht angeschlossen war. Also wurde einfach ein Loch in die Wand gebohrt und draußen eine Gasflasche hingestellt und angeschlossen. Ein Auto zu bekommen, war nicht ganz einfach, wenn man kein Resident war. Das Gleiche galt für einen Internetanschluss. Wir haben uns zu Beginn mit zehn Mann einen Anschluss geteilt.

Klingt so ein bisschen wie bei einem Start-up …

Für mich war es anfangs ein Abenteuer. Während meiner Profikarriere war immer Hamburg meine Homebase. Und plötzlich war ich 7000 Kilometer weg von dort, in einer anderen Kultur mit einer anderen Sprache. Aber die Reise gab mir die Möglichkeit, den Schritt vom Spieler ins Management zu vollziehen. Einige Erkenntnisse aus dieser Zeit kann ich auch jetzt noch für meine jetzige Funktion als Sportlicher Leiter nutzen. Und zwar, dass man mit Kontinuität und nachhaltigem Arbeiten zum Erfolg kommt – und nicht durch kurzfristige Entscheidungen, die auf keiner Strategie basieren.

Wie war der Kontakt mit den Katarern?

Wir waren Dienstleister und Berater. In dieser Funktion haben wir Vorschläge unterbreitet. Die Katarer haben auf unser Know-how gesetzt, die Entscheidung dann aber letztendlich selbst getroffen. Wir wurden durchaus freundlich empfangen. Aber klar, auch wir waren Gastarbeiter, in den Augen der Katarer allerdings auf einer anderen Ebene als die Gastarbeiter in anderen Dienstleistungsberufen wie zum Beispiel in den Restaurants oder auf dem Bau – das war zu spüren. Ich erinnere mich, dass aber auch wir nicht einfach so ausreisen konnten. Wir benötigten dafür eine Genehmigung vom Arbeitgeber, die wir eine Woche vorher beantragen mussten.

Wieso bist du nach zwei Jahren wieder zurück nach Deutschland gegangen?

Ein Grund war, dass ich die Möglichkeit hatte, sportlich bei Holstein Kiel einzusteigen, und zudem haben sich Dinge in der Struktur der QSL verändert. Ein oder zwei Kollegen von damals sind noch in Katar, der größte Teil ist aber wieder zurück. In der Zeit sind einige Freundschaften entstanden. Dass wir dort einige Herausforderungen zu meistern hatten, hat uns zusammengeschweißt.

War die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 zu deiner Zeit in Katar schon vergeben?

Nein, als ich 2009 dort weggegangen bin, begann gerade der Bewerbungsprozess.

Am Sonntag startet nun die WM. Kein anderes Turnier in der Fußballgeschichte war so umstritten wie diese. Hast du Verständnis dafür?

Absolut. Das fängt an bei der Vergabe und ihren Umständen, geht über den Austragungszeitpunkt im Winter und natürlich insbesondere das Thema der Menschenrechtssituation. Es ist gut, dass all diese Dinge jetzt Aufmerksamkeit erhalten – und hoffentlich auch nach der Weltmeisterschaft im Fokus bleiben. Speziell bei der Menschenrechtssituation und damit einhergehenden Themen wie Diskriminierung, Arbeitsbedingungen und Meinungsfreiheit müssen Verbesserungen her. Das gilt aber auch für das Thema Nachhaltigkeit, zum Beispiel bei den Stadien. Wir haben ja erlebt, dass das in Südafrika und Brasilien nicht unbedingt der Fall war.

Welche sportlichen Erwartungen hast du an die WM?

Spontan: Eigentlich keine. Es war zwar auch bei den vergangenen Weltmeisterschaften nicht so, dass ich schon zwei Wochen vorher in Vorfreude war, aber vor Katar fehlt mir jegliches Kribbeln. Ein bisschen Neugierde ist zwar allein aus Berufsgründen da, was zum Beispiel in den Stadien und im Land passiert, aber ich werde wohl nicht allzu viele Spiele sehen.

Wer sind die Favoriten?

Ich bin mir sicher, dass die deutsche Elf eine gute WM spielen kann. Wenn man den Kader von Frankreich liest, dann findet man dort schon extrem viele prominente Namen. Aber letztlich ist es ja oft so wie bei uns in Darmstadt, dass nicht die Einzelspieler, sondern die Mannschaft den Erfolg ausmacht.

Ist denn bei der WM womöglich auch ein Spieler für den SV Darmstadt 98 dabei?

Die WM-Teilnehmer sind für uns relativ weit weg, räumlich aber auch sportlich. Wir tun sicher gut daran, uns bei diesem Thema zunächst auf Naheliegenderes zu konzentrieren.

Bildquellen

  • AUE-SVD-2021-22-blog-0039: Arthur Schönbein

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