Wer Darmstadt 2008 verlassen hat und heute, fünfzehn Jahre später, ans Böllenfalltor zurückkommt, erkennt das Stadion des SV Darmstadt 98 und sein Umfeld nicht wieder. Lilienblog-Autor Frank Horneff war in der Lilien-Task-Force, die vor 15 Jahren antrat, um den SV 98 vor der Insolvenz zu retten. Anlässlich der Logen-Eröffnung blickt er zurück und schlägt den Bogen in die Gegenwart.
In diesen Tagen ist auf dem YouTube-Kanal des SV Darmstadt 98 ein bemerkenswertes Filmdokument zu sehen: „Die Lilien bleiben DA“ erzählt in gut einer halben Stunde die Geschichte von der Rettung der Lilien vor 15 Jahren. Am vergangenen Wochenende wurden rechtzeitig zum Top-Spiel der Lilien gegen den 1. FC Kaiserslautern weitere Bereiche der neuen Haupttribüne im Merck-Stadion am Böllenfalltor in Betrieb genommen. Am Vorabend wurde der Bereich „einem kleinen Kreis aus politischen Vertretern und Hauptsponsoren des SV 98 vorgestellt“, heißt es in einer Vereinsmitteilung.
In den Logen brennt jetzt Licht, in einem neuen Stadion. Wer hätte das vor 15 Jahren für möglich gehalten? Nicht allzu viele. Dabei hat der Erfolg am Ende viele Väter (und Mütter) – das zeigt auch der jüngst veröffentlichte Film.
Als der SV Darmstadt 98 vor dem Aus stand
Was dabei nicht vergessen gehen sollte, nicht in kleinen und erst recht nicht in größeren Kreisen – daran erinnert der Lilienblog mit diesen Zeilen:
September 2007: Vereinspräsident wurde Hans Kessler, der sich im Team mit Albert Filbert, Helmut Zeitträger, Peter Haas, Rüdiger Fritsch, Wolfgang Arnold, Goetz Eilers, René Sturm, Günther Spahn und Jürgen Pforr der Verantwortung stellte: das Präsidium und sein Kompetenzteam. Das war bei Amtsübernahme ein schweres Erbe, eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Ergebnis: offen.
Und diese Rechenaufgabe wurde schwieriger, als alle erwartet hatten. Unregelmäßigkeiten aus der Vergangenheit führten zu einer millionenschweren Nachzahlungsforderung von Finanzamt und Sozialversicherungsträgern, dazu angehäufte Verbindlichkeiten: Die Lilien geknickt, Tradition mit dem Rücken an der Wand, Insolvenzantrag im März 2008 – nicht alle wollten da an Bord bleiben.
Doch es gab viele Helfer, die Hans Kessler und seine Mitstreiter sofort und ohne zu zögern unterstützten: Nachdem sich schon unmittelbar nach der Wahl des neuen Präsidiums verschiedene Arbeitskreise daran machten, die Lilien zu neuem Leben zu erwecken, war die Aufgabe jetzt eine andere:
Die Lilien zu retten. Dafür zu sorgen, dass Tradition bleibt. Steuerberater Marc Faig und ein Expertenteam des Wirtschafts- und Beratungsunternehmens KPMG sowie Fachanwälte leisteten hierzu die notwendige fachliche Unterstützung.
Ehrenamtliches Engagement auf vielen Ebenen des SV Darmstadt 98
Darmstadts damaliger Oberbürgermeister Walter Hoffmann zählte genauso wie die damalige Darmstädter Bundestagsabgeordnete und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zu den Lilien-Rettern der ersten Stunde. Dazu die Lilien-Task-Force, das Koordinationsteam; Menschen, denen Hans Kessler und die Vereinsverantwortlichen vertrauen und die sich ehrenamtlich für den Erhalt des SV 98 einsetzen.
Ehrenamtlich, wo andere Vereine auf professionelle Strukturen zurückgreifen: Sportmanager Tom Eilers (Spendenadministration), der aktuelle Vize-Präsident Markus Pfitzner (Marketing), Frank Horneff (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit), Peter Kunz (Vertrieb), Jörg Guse (Online und Technik), Michael Weilguny (Sponsoring) und Erik Eichhorn (Fan-Verein). Verlässlichkeit und Kompetenz zeichnet dieses Team hinter den Kulissen aus, alle mit einem Ziel: Die Lilien bleiben DA.
Alexander Götz und Thomas Waldherr arbeiteten dem Koordinationsteam permanent zu. Götz unterstützte Pfitzner, Weilguny und Kunz auf dem Feld Marketing/Sponsoring/Vertrieb, Waldherr arbeitete eng mit Pressekoordinator Horneff zusammen.
Kreativität bei der Rettung: Musiknacht, Sternmarsch oder Kunst-Auktion
Dazu die Basis, die vielen treuen Lilienfans: leidgeprüft und immer wieder aufgestanden. Eine Unmenge an Ideen, Vielseitigkeit und Kreativität kam von dort, wo das Herz der Lilien sitzt: der Sternmarsch zum Heimspiel gegen Ober-Roden (!); die Live-Musiknacht – unvergessen; die Auktion „Kunst für die Lilien“ – beeindruckend. Und hinter den Kulissen immer wieder Menschen im Ehrenamt für den SV 98. Oder Schaufenster im Lilien-Look, E-Bay-Auktionen, Tausende Lilien-Buttons fluteten die Stadtgesellschaft, Kinder schlachteten ihre Sparschweine, um ihren Verein zu unterstützen, ebenso wie Fan-Klubs anderer Vereine, Benefizspiele wurden ausgetragen.
Die Krönung schließlich war dann dem Engagement zweier Darmstädter in der Fremde zu verdanken: Sowohl Focus-Gründer Helmut Markwort als auch ARD-Reporter und Dokumentarfilmer Nick Golüke baten Uli Hoeneß vom FC Bayern München um Hilfe – und die großen Bayern kamen am 13. Mai 2008 zum Benefizspiel nach Darmstadt.
Es sollte noch die ein- oder andere Achterbahn folgen, doch etwas mehr als ein Jahr später war das eigentlich Unmögliche wahr geworden: Am 3. Juni 2009 konnte der Insolvenzantrag zurückgenommen werden – die Lilien waren gerettet.
Danach dann die jüngere Vereinsgeschichte: Aufstieg unter Kosta Runjaic in die dritte Liga 2011, der unvergessene Zweitliga-Aufstieg unter Dirk Schuster und mit Jonathan Heimes‘ Motivationsbändchen 2014, Durchmarsch in die Bundesliga 2015, Klassenerhalt im Berliner Olympiastadion 2016, Bundesliga-Abstieg 2017 – und seither etablierter Zweitligist und nach dem 2:0 gegen Kaiserslautern Tabellenführer der Zweiten Liga mit Torsten Lieberknecht, einem Trainer, der zum SV Darmstadt 98 und zur Stadt passt wie kaum jemand vor ihm.
All das gehört zur Lilien-DNA der jüngsten Vergangenheit.
„Nie vergessen, wo man herkommt“
In den Logen brennt jetzt Licht – und wer Darmstadt 2008 verlassen hat und jetzt, fünfzehn Jahre später, ans Böllenfalltor kommt, erkennt das Stadion und auch das Umfeld nicht wieder. Vieles ist, und viele sind nicht mehr geblieben von damals. Denn alles hat seine Zeit, und die Welt dreht sich weiter, besonders die Fußball-Welt.
Doch Hans Kessler, der Mann, dem der SV 98 unglaublich viel verdankt, hat stets betont: „Das haben die Menschen gemacht – wenn wir es schaffen“ (so Kessler im Juni 2008 im Gespräch mit dem Darmstädter Stadtmagazin „Vorhang Auf“). Kessler, das zeigt nicht nur der Film, hat das bis heute nicht vergessen.
Denn Kessler wusste: Viele, viele Menschen (die hier namentlich nicht alle genannt werden können) haben die Kampagne zur Rettung des SV 98 getragen – im Verbund mit starken Sponsoren, von denen hier die Software AG und Merck stellvertretend genannt seien.
In den Logen brennt jetzt Licht – ob es dem SV Darmstadt 98 im 125. Jahr seines Bestehens möglich sein wird, all jene in die neuen Logen im neuen Stadion einzuladen, die vor 15 Jahren maßgeblichen Anteil daran hatten, dass die Lilien DA geblieben sind? Auch wenn das zahlenmäßig über den „kleinen Kreis aus politischen Vertretern und Hauptsponsoren des SV 98“ hinausgehen wird?
„Nie vergessen, wo man herkommt, stets wissen, wo man hingehört“ – Worte Hans Kesslers, die Erinnerung und Würdigung verdienen. Nicht nur zum 125. Jahr des Vereinsbestehens. Nicht nur im Jahr 15 nach der Lilien-Rettung. Sondern für immer.
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Frank Horneff ist Lilienblog-Autor, war von 1992 bis 2014 ehrenamtlich für den SV Darmstadt 98 in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig und zählte 2007 bis 2009 zur „Lilien-Task-Force“, dem Koordinationsteam um den damaligen Lilien-Präsidenten Hans Kessler. Dieser Text entstand mit Material aus „Ein Blick hinter die Kulissen einer bemerkenswerten Rettungsaktion“ (mit Thomas Waldherr, Darmstadt, August 2008).
Bildquellen
- HAT-2236: Handout SV Darmstadt 98
Frank Horneff hat einen wunderbaren Bericht geschrieben. Ich kenne noch die große Spendenaktion wo alle Darmstädter (ob arm oder reich) spendeten.