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Lilienblog-Autor Stephan Köhnlein über die zunehmende Tendenz zum Sich-Beklagen beim SV Darmstadt 98:

Bei der Mitgliederversammlung des SV Darmstadt 98 hat Präsident Rüdiger Fritsch gerade mangelnde Demut und eine überzogene Erwartungshaltung im Umfeld des Vereins angeprangert. Zwei Tage zuvor hatte eben dieser Verein mit dem 0:8 bei Bayern München die höchste Niederlage seiner Bundesliga-Geschichte kassiert. Für Fritsch kein größeres Problem, denn der Bayern-Kader habe ja fast den 24-fachen Marktwert der Lilien-Mannschaft. Dafür habe man sich doch ganz gut aus der Affäre gezogen.

Gejammer über das Geld

Und überhaupt seien die wirtschaftlichen Möglichkeiten in Darmstadt ja so begrenzt. Selbst Zweitliga-Aufsteiger Elversberg habe einen Mäzen, der mal schnell ein oder zwei Millionen rüberschiebe, wenn man nur anrufe. Er könne niemanden anrufen. Aber: “Wir leben den Traum Fußball-Bundesliga. Und den lassen wir uns von niemandem kaputt machen”, sagte Fritsch und erntete von den Mitgliedern dafür großem Applaus.

Vier Tage nach der Mitgliederversammlung hat der SV Darmstadt 98 nun zu Hause gegen den VfL Bochum verloren. Die haben nur einen etwa 50 Prozent höheren Kaderwert als die Lilien. Da stimmen die Relationen beim Ergebnis also ungefähr. Wobei die Rechenspielchen mit den Zahlen des Internetportals transfermarkt.de schon etwas kurios sind, denn wenn man Offizielle in Darmstadt (und anderswo wahrscheinlich auch) mit den dort genannten Ablösesummen konfrontiert, werden diese meist als Fabelzahlen zurückgewiesen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Gejammer über die Schiedsrichter

Ohnehin wurden die Finanzen nach der Niederlage gegen Bochum zunächst nicht bemüht. Dafür gab es wieder einmal Beschwerden über den Schiedsrichter. In der Vorwoche war es noch ein nicht geahndetes Handspiel vor dem 0:5 der Bayern gewesen (zur Erinnerung: Die Partie endete 0:8). Diesmal war es eine nicht ausgesprochene Gelb-Roten Karte für den gegnerischen Kapitän Anthony Losilla, als der SV Darmstadt 98 bereits 1:2 im Rückstand war und einen Mann weniger auf dem Platz hatte.

Festzuhalten bleibt aber: Die Lilien haben in dieser Saison noch kein Spiel allein durch eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters verloren. Es waren immer eigene Fehler, die den Gegner auf die Siegerstraße gebracht haben. Selbst bei der bislang fragwürdigsten Entscheidung der Saison – der Roten Karte für Matej Maglica wegen eines angeblichen Handspiels gegen Gladbach – schaffte es die Mannschaft nicht, eine 3:0-Führung mit dem Rückenwind eines gehaltenen Elfmeters über die Zeit zu bringen. Aber auch nach dem 3:3 war die Schiri-Schelte lauter als die Selbstkritik.

Und dass etwa im Leipzig-Spiel Fabian Holland und Christoph Klarer bei harter Regelauslegung – ähnlich wie Bochums Losilla – Gelb-Rot hätten sehen können, wird im Benachteiligungs-Narrativ geflissentlich ausgeklammert.

Wo bleibt die eigene Verantwortung?

Das ständige Gejammer nervt zunehmend und lenkt von der Verantwortung der Akteure ab. Wirtschaftlich hatten die Lilien – anders als beim Durchmarsch in die Bundesliga im Jahr 2015 – einige Jahre Zeit, um sich für den Profi-Fußball aufzubauen und auszurichten. Tatsächlich wurde in dieser Zeit auch viel geschaffen am Böllenfalltor. Das macht den Verein zwar noch nicht zu einem Big Player. Aber das Klapprad bei der Tour de France, wie es Präsident Fritsch in seiner metaphern-freudigen Art damals gesagt hatte, ist der Verein eben auch nicht mehr. Und wenn die Verantwortlichen wirklich gerne ein Mäzenen- oder Investoren-Modell hätten, sollen sie doch versuchen, dieses umsetzen, statt sich zu beklagen, dass ihnen niemand die Millionen rüberschiebt.

Sportlich gibt es am Ende einer Saison vielleicht keine zu 100 Prozent ausgeglichene Gerechtigkeit. Aber obwohl es auch Trainer Torsten Lieberknecht mit seinem unglücklichen Club-Urlaub-Vergleich zumindest indirekt angedeutet hat – durchgehend oder gar gezielt benachteiligt wird der SV Darmstadt 98 nicht. Das kann man getrost ins Reich der Verschwörungstheorien verweisen. Aber dafür gibt es ja auch genug offene Ohren.

Statt die Schuld immer wieder bei anderen zu suchen, sollten alle Akteure sich an die eigene Nase fassen. Denn auch im Stadion wird ja nicht gesungen: „Wir wollen euch jammern hören.“ Sondern: „Wir wollen euch kämpfen sehen.“

Das ist ein Meinungsbeitrag. Sicher gibt es Menschen, die das anders sehen. Diskutiert mit uns. Aber bleibt fair und sachlich. 

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Bildquellen

  • SVD-SVS-2021-22-blog-0018: Arthur Schönbein

11 Kommentare

  • Hans-Jörg Wagner sagt:

    Man merkt dass du nah genug am Verein heran bist. Weil ja, es kippt genau jetzt ein wenig…. Man kann hoffen, dass lieberKnecht angefressenheir nun auch bei der Mannschaft ankommt. Ein wenig zu bequem machen es sich einige… Selbst mein Liebling Tobi Kempe war sich nicht zu doof bei null zu acht ein natürlich blödes Handspiel anzuführen ja man hätte dort Elfmeter statt das 0-5 bekommen müssen.
    Nun wird es Zeit, auch innerhalb der Mannschaft ein wenig Tacheles zu reden

  • Frank Heizmann sagt:

    Hallo Herr Schönbein ich stimme Ihnen in allen Belangen zu…man hat mit Jammern und Schuldzuweisungen noch nie eine Klassse gehalten….so ist es in den oberen Ligen, wie auch in den unteren! Das Spiel gegen Bochum, hat man wie Sie es schon richtig erkannt haben, durch individuelle Fehler verloren, dass sollte man schnellstmöglich versuchen abzustellen und gegen Mainz eine andere Haltung an den Tag legen, sonst sieht man sich schneller als gedacht auf den Abstiegsplätzen und da raus zukommen ist bekanntlich nicht wirklich einfach!

    • Stephan Köhnlein sagt:

      Hallo Herr Heizmann, vielen Dank für das Feedback. Herr Schönbein ist allerdings für die Fotos zuständig. Die Texte – wie auch dieser Kommentar – stammen meistens von mir. Sportliche Grüße Stephan Köhnlein

  • Frank Heizmann sagt:

    Hallo Herr Köhnlein, ich bitte dies zu entschuldigen und machen Sie weiter so fair aber direkt! Man muss halt auch einmal die Finger in die Wunde legen können!
    Gruß Frank Heizmann

  • Astrid sagt:

    Ich bin immer wieder extrem erstaunt , manchmal auch belustigt , über die zwei unterschiedlichen Gesichter unseres Trainers .einerseits ist er sehr reflektiert , besonnen , klar und auch bodenständig . Während des Spiels und danach tritt er aber völlig anders auf . Er wird zum Rumpelstielzchen , schreit , tobt und gerät völlig außer sich . Bei der PK hatte er sich dann wieder voll unter Kontrolle . Das finde ich sehr profesionell . Auch wenn er extrem angefaßt war . Geschuldet bestimmt nicht nur dem sich schlecht behandelt fühlens , sondern auch dem fehlerhaften Auftritt unserer Mannschaft . Jetzt zu deinem Statement lieber Stephan : ich muß dir in den meißten Punkten recht geben . es wirft kein gutes Licht auf uns , auch wenn Kritik an Schiedsrichterentscheidungen wahrscheinlich häufig berechtigt ist . Wir werden es aber nicht ändern können , wenn wir darüber lang und ausgiebig lamentieren. Immer selbstkritisch bleiben und hoffentlich am nächsten Samstag ein besseres Ergebnis einfahren .

  • Kallinski sagt:

    Alles richtig, kann ich fast komplett unterschreiben … bis auf … ja bis auf die Aussage, dass bisher kein Spiel durch den SR verloren wurde.
    Dem würde ich ganz klar widersprechen, denn das Spiel gegen Leipzig wäre bei korrekter Regelanwendung eher 2:1 für die Lilien ausgegangen … vorbei.

  • achtundneunzig sagt:

    Oh, das gleiche gilt auch für die Fans. Dieses ewig gleiche Gejammere. Ich erinnere mich noch gut daran… Mimimimi, Stürmer aus der 3. Liga, können auch gleich absteigen… oder Patrick Pfeiffer am Anfang… der ist zu schlecht, wegen dem verlieren wir Spiele, wie kann man den aufstellen. Und die gleichen heute: Äh, wie kann man die gehen lassen, Wehlmann ist so schlecht. Und jetzt bei Fraser, Oscar und Filip schon wieder. Junge, Junge, Junge, gebt ihnen doch Zeit. Wie oft hat Fraser jetzt volle 90 Minuten gespielt? Aber direkt mal als Fehleinkäufe abstempeln. Das lässt mich im Strahl mehr kotzen, als ich essen kann.

    • achtundneunzig sagt:

      Habe mich schon wieder beruhigt 🙂 Und was den Artikel von Stephan angeht, sehe ich das ähnlich. Überzogene Erwartungen sehe ich eigentlich wenige, aber das gebetsmühlenartige Wiederholen, wie anders und wie klein wir doch sind, muss wirklich nicht mehr sein. Das sollte mittlerweile auch der Letzte mitbekommen haben. Und was die Schiris angeht, finde ich schon, dass viele 50:50 gegen uns gepfiffen werden. Warum auch immer….

  • Raininho sagt:

    Das ist ein altbekanntes Muster: Wenn du untergehst, ist die Badehose schuld. In unserem Fall die Schiris. Wir gewinnen nur Spiele, wenn wir hundertein Prozent konzentriert und konsequent sind. Wenn der Marktwert alleine entscheidend wäre, dürfte kein unterklassiger Verein im Pokal weiterkommen oder Mainz dürfte nicht gegen Leipzig gewinnen. Gejammer und Scheindebatten lenken nur vom Hauptgeschäft ab. Aus Fehlern lernen, Spielergebnisse abhaken, von Spiel zu Spiel denken, Gegner analysieren und dann konsequent und konzentriert umsetzen. Die Jungs dürfen nicht ins Denken kommen. Das 0:1 hat zu viele Dinge im Kopf in Gang gesetzt, die da nicht hingehören. Siehe Schlusssprint letzte Saison, als man plötzlich was zu verlieren hatte. Das St. Pauli-Spiel letzte Saison war gleiches Strickmuster. Gegner auf Augenhöhe, hohe Erwartungshaltung und Kupferbolzen in der Buxe. Die Angst etwas falsch zu machen und alles besonders gut machen wollen, hinter, die Lust zu kämpfen und zu siegen, setzt Kräfte frei.

  • De Maddin sagt:

    Lieber achtundneunziger, vielleicht MÖCHTEST du (im Strahl) mehr kotzen als du essen kannst, um mal den Herrn Liebermann (ja, der Maler) korrekt zu zitieren. Aber mehr kotzen als vorher reingeschaufelt wurde, geht nicht 😉

    Zum Artikel: Finde ich ebenfalls sehr zutreffend und in der Tat, gerade die Diskrepanz zwischen dem Verhalten beim Bayernspiel und dem gegen Bochum stimmt nachdenklich. Und wenn wir mal auf die Roten Karten schauen: Die kommen ja nicht ganz von ungefähr, denn in die Situation, zur Notbremse greifen zu müssen, muss man ja auch erstmal kommen. Und das passiert uns in letzter Zeit einfach zu oft und muss abgestellt werden, ohne Wenn und Aber. Übrigens: Die beiden Gegentore sind am Freitag gefallen, als noch 10 gegen 10 Feldspieler auf dem Platz standen … Wie gesagt: Riskantes Kurzpassspiel am eigenen 16er ist so ne Sache, die man besser beherrschen sollte.

    Das ist die Verteidigungs-Seite, aber auf der Angriffs-Seite mangelts eben auch. Und ich mosere ja nicht per se an Vilhelmsson und Hornby herum, sondern störe mich daran, dass wir mit Stojilkovic einen meiner Meinung nach geeigneteren Stürmer meistens nur auf der Bank sitzen haben, der jetzt endlich mal etwas früher zum Zuge kam – aber eben noch nicht früh genug. Vielleicht wirds ja noch was, oder Coach???

    Herr Westhoff von der FAZ hat dazu heute mit ganz ähnlichem Einschlag treffend geschrieben, dass das Bochum-Spiel das erste in dieser Saison war, dass in keines unserer bisherigen Erzählmuster passt: vieeeeel zu starke Gegner gegen uns kleine Lichter oder „Wir können ja doch mit einigen Mithalten“. Hier war ein wirklich schwacher Gegner am Bölle, mit dem wir nicht zurechtgekommen sind, für den es eben nicht gereicht hat, den wir aber – und da sind wir vielleicht tatsächlich schon etwas großkotzig – irgendwie vorab schon als leichte Beute abgestempelt hatten. Nach dem Motto: Wer gegen Bayern zur Halbzeit 0:0 spielt und Leipzig phasenweise im Sack hatte der kann Bochum im Vorbeigehen mitnehmen.

    Eben nicht.

  • Axel sagt:

    Ich denke das jammern des Herrn Fritsch geht vielen schon lange auf die Nerven.
    Man hat sich für die 1.Liga qualifiziert und das nicht mit Glück. Warum wird dann aber immer wieder erzählt wie klein wir sind, anstatt sich endlich mal selbstbewusster zu zeigen?
    Das Umfeld hat sicher keine überzogenen Erwartungen, also wen will Herr Fritsch ansprechen? Wirtschaftlich hat er viel erreicht aber sportlich sollte er sich komplett heraus halten.
    Kritische Stimmen wie ihre, sind wichtig und notwendig. Es ist nie alles rosarot. Dafür braucht es Menschen die dies ansprechen.
    Schiedsrichter waren uns noch nie gewogen, dass ist nichts neues. Aber als Begründung für Niederlagen haben sie auch noch nie getaugt.

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