Torsten Lieberknecht spricht über ein turbulentes Jahr und blickt nach vorn. Im ersten Teil unseres großen Lilienblog-Interviews geht es um die bisherige Bundesliga-Bilanz des SV Darmstadt 98, Aufsteiger, Neuzugänge und Abgänge. Aber vor allem macht der Lilien-Trainer immer wieder klar, dass es wichtigere Dinge als den Fußball gibt.
Torsten, du hast nach dem letzten Spiel des Jahres in Hoffenheim gesagt, dass es Wichtigeres gibt als Fußball. Im Herbst hattest du einen größeren Eingriff, deine Frau Simone hatte später einen Schlaganfall. Ist das Bewusstsein dafür, dass Gesundheit nicht selbstverständlich etwas, das du für dich persönlich aus diesem Jahr mitnimmst?
Es ist schon erstaunlich, wie schnell man nach so etwas in sein ursprüngliches Tun zurückkehrt und sich wieder im gleichen Hamsterrad bewegt. Egal, ob Familie oder Job – man legt diese Dinge ab, weil ja meistens alles weiter geht, weiter funktioniert. Das ist ja auch gut so. Aber es gibt eben Momente wie auf der Pressekonferenz in Hoffenheim, als plötzlich eine andächtige Stimmung entstanden ist. Und ich glaube, dann ist es auch gut, wenn man daran erinnert, dass Gesundheit wirklich ein ganz hohes Gut ist.
Richten wir den Blick auf das Sportliche: Mit dem SV Darmstadt 98 haben wir zwei unterschiedliche Halbjahre erlebt: erst Aufstiegsjubel, dann Abstiegskampf. Kannst du ein Gesamtjahresfazit ziehen?
Mir fällt so ein Fazit immer etwas schwer. Wir hatten eigentlich das ganze Jahr Höhen und Tiefen. Aber ich denke, dass wir Dankbarkeit zeigen sollten, dass wir den Aufstieg geschafft haben, weil der alles andere als selbstverständlich war. Da steckte viel Arbeit drin. Mein grundlegendes Fazit lautet, dass wir den SV 98 und die Stadt Darmstadt im Jahr 2023 sehr gut repräsentiert haben.
Kommen wir zur Bundesliga: Wie sieht da dein Fazit nach 16 Spielen aus?
Wir hatten einen schwierigen Start. Nach einer unrunden Vorbereitung mit vielen Verletzungen kam das schlechte Pokal-Spiel in Homburg. Aber dann gab es eben das erste Spiel in Frankfurt, in dem wir gezeigt haben, was machbar ist. Ich finde, wir haben uns schnell angepasst auf das neue Niveau. Wenn du ständig mit vier oder fünf Toren Unterschied verlieren würdest, glaubst du wahrscheinlich irgendwann, dass du keine Chance hast. Aber wir waren immer in einer gewissen Reichweite. Wir haben eine reelle Chance.
Welcher Spieler hat für dich denn den größten Sprung gemacht hat?
Das ist schwierig. Die meisten Spieler hatten Hochs und Tiefs, was auch völlig normal ist. Aber die Leihe von Tim Skarke hat sich auf jeden Fall gelohnt. Auch Fabian Nürnberger, der am Anfang eher in einer Back-up-Situation war, hat viel an Selbstvertrauen gewonnen. Clemens Riedel war nach einem zwischenzeitlichen Tief zum Schluss wieder voll drin. Gegen Hoffenheim hat er auf drei Positionen gespielt. Selbst bei seinem Fehlpass vor dem 2:3 war die grundsätzliche Idee sehr gut, im Kopf hat er das genau richtig gedacht. Und auch Fabio Torsiello kommt immer besser rein.
Du hattest zuletzt angedeutet, dass es Gespräche mit potenziellen Neuzugängen gibt. Täuscht der Eindruck, dass der Mannschaft vor allem ein Spieler guttäte, der vorne hoch angespielt werden und die Bälle festmachen kann?
Ja, dieses Profil geht definitiv in die richtige Richtung – auch aufgrund der Tatsache, dass Fraser Hornby langfristig ausfällt, mit Aaron Seydel wegen seiner Verletzungen leider schwer planbar ist und der Luftraum auch nicht unbedingt das Spezialgebiet von Luca Pfeiffer ist.
Du hast mehrfach gesagt, dass es eine große Herausforderung ist, einen so großen Kader zu moderieren. Wird es Abgänge geben?
Meine Empfehlung ist es, den Kader zu verkleinern und den Fokus auf einen noch engeren Kern zu richten. Wobei bis auf unseren Ersatzkeeper Morten Behrens bislang jeder Spieler seinen Einsatz bekommen hat. Aber für den einen oder anderen Spieler ist ein Wechsel sinnvoll, wenn er merkt, dass er zu wenig Spielzeit bekommt. Ich nenne da keine Namen, das müssten die Betroffenen selbst spüren.
Blicken wir auf das kommende Jahr. Was wünschst du dir für 2024?
Ich wünsche mir weiterhin Unterstützung. So wie ich meine Familie unterstütze und sie mich unterstützt. Aber auch Unterstützung hier von den Menschen in Darmstadt für ihren Klub. Und natürlich wünsche ich mir für alle Gesundheit. Gerade ist Abdul Ouakili, mit dem ich in Mainz zusammengespielt habe, im Alter von 53 Jahren an Krebs gestorben. Das sind eben auch Schicksale, die das Leben mit sich bringt. Wie wichtig Gesundheit ist, vergisst man leider immer wieder schnell, wenn man im alltäglichen Hamsterrad ist.
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Bildquellen
- fch-SVD-2023-24-blog-0005: Arthur Schönbein