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Viel berechtigte Kritik, aber auch ein Blick voller Vorfreude auf die kommende Saison des SV Darmstadt 98 – Lilienblog-Leser Robert hat wieder einmal einen Gastbeitrag verfasst, in dem er die vergangene Saison umfassend aus seiner Sicht aufarbeitet. 

Nach der abgelaufenen Saison sollte man als treuer 98er zuversichtlich und mit Vorfreude auf die Gegner der bevorstehenden Spielzeit blicken. Es warten klangvolle Namen wie der dinosaurierhafte Nichtaufsteiger HSV, der Ex-„Big City Club“ Hertha BSC, ein lustiges Schalke 04, die 1. FCs aus Kaiserslautern, Nürnberg und Köln, die glücklose Fortuna, aber auch beeindruckende Durchmaschierer aus Ulm und Münster.

In der zum x-ten Mal stärksten zweiten Liga der Welt wird der SV Darmstadt 98 eine echte Chance haben, sich die bereits in der Endphase der letzten Zweitligasaison stetig angespielte Serie von Negativerlebnissen und schwachen Leistungen endlich aus Knochen und Nerven zu gewinnen. Vor proppenvollen Stadien mit großer Begeisterung und allem, was den Fußball ausmacht, sollten die Freude und fußballerische Klasse zurückkehren und die Sonne auch am Bölle wieder regelmäßiger scheinen, als es viel zu lange der Fall war.

Wurden Warnzeichen ignoriert?

Zur Erinnerung: Am letzten Spieltag der Saison 20222/23 gab es jenes 0:4 gegen Fürth – nach der
Party auf einer berüchtigten Insel, davor ein 1:2 in Hannover und ein 0:3 gegen allerdings
bärenstarke St. Paulianer. Die saisonübergreifende Erfolglosigkeit bahnte sich somit bereits damals an, und setzte sich nahtlos bis in die Vorbereitung fort, als man die Angelegenheit noch lockerer zu nehmen versuchte.

Vielleicht wurden nach einem eher schwachen Heimsieg gegen Magdeburg und dem Aufstieg Defizite dermaßen übertüncht, dass Warnsignale nicht richtig bewertet oder gar erkannt wurden. Neudeutsche Fußballexperten bringen diese Ereignisse gerne mit „Overperformen“ in Verbindung. Angeblich trifft dieser Begriff auf die gesamte Zweitligasaison zu: Eine eher mittelmäßig besetzte Mannschaft sei stetig über sich hinaus gewachsen . Für den Autor dieser Zeilen ist das Auftreten in der „guten alten Zeit“ der Beweis dafür, dass ein Team mehr als die Summe ihrer Einzelteile ist.

Was dem SV Darmstadt 98 das Genick brach

Das 0:3 im DFB-Pokal gegen Homburg zeigte wie ein alarmierender Geigerzähler, in welche Richtung es dem (Zweck-) Optimismus zum Trotz gehen sollte: Gen Süden der Tabelle direkt vorbei am Barkeeper im Club-Urlaub, wo man als Neuling bekanntlich misstrauisch beäugt wird. Zunächst konnte man noch hoffen, alles läge oder vieles hänge bloß an den Anpassungsschwierigkeiten, mit denen viele Aufsteiger zu kämpfen hatten und ein bisschen Pech, höherer individueller Klasse der Gegner.

Doch dann kam alles noch schlimmer als schlimm. Was folgte, war eine Saison mit Anhäufungen von Unzulänglichkeiten außer bei Tim Skarke und Marvin Mehlem, mit mehr oder weniger großen Abstrichen auch Christoph Klarer, Marcel Schuhen, Fabian Nürnberger, Matej Maglica und Oscar Vilhelmsson.

Defensivschwäche, die Schiedsrichter und der Trainer

Zu sehen war eine oft erschreckende defensive Unterlegenheit, nachdem man in der Saison davor die wenigsten Gegentore aller Profiklubs geschluckt hatte. Dazu Pech mit knappen teils falschen Schiedsrichterentscheidungen (oder unsinnigen Regeln wie das „Handspiel“ in Bremen vor dem vermeintlichen Siegtreffer), mangelnde Effizienz und ein bizarres Ausmaß von teils schwersten Verletzungen. All das brach dem Verein sportlich das Genick. Der SV Darmstadt war zu selten bundesligatauglich und vom Schicksal oft brutalst geschlagen. Hinzu kamen Fehler, die Torsten Lieberknecht freimütig zugab, bisher jedoch nicht explizit benannte.

Leider gab die Führung im Zuge des Abschieds von Carsten Wehlmann kommunikativ eine unglückliche Figur ab und ließ sich gefühlt (nämlich bis in den Februar hinein) zu viel Zeit, um ein Anforderungsprofil für dessen Nachfolger zu erstellen. Paul Fernie scheint eine passende Wahl zu sein. Das offenbar gute Verhältnis zum Chefcoach könnte in dieser Situation doppelt wertvoll sein. Seine öffentlichen Auftritte wirkten bis dato sympathisch. Man wünscht ihm gutes Vorankommen und vor allem eine glückliche Hand, klares Urteilsvermögen sowie genug Energie im Zuge des abzuarbeitenden Bergs.

Eine ausgefallene Trainerdiskussion und manches Positive

Eine Demission der hoffentlich angehenden Legende Lieberknecht wäre wahrscheinlich nicht zielführend gewesen. Wegen des im Vergleich zu 90 Prozent der Konkurrenten schwächeren Bundesligakaders und einem über Jahre entwickelten Spielsystem ist es zweifelhaft, ob ein neuer Coach die nötige Wirkung zeitig hätte erzielen können. Statistiken sprechen zudem eher gegen den viel beschworenen „Trainereffekt“.

Außerdem kamen fast alle Neuzugänge erst am Ende der Vorbereitung, was zwar meist die Regel am Bölle ist, die Arbeit keines Trainerteams jedoch erleichtert. Es ist auch fraglich, ob der Markt einen passenden Mann hergegeben hätte, und diesem die nötige Akzeptanz aufgrund des hohen Beliebtheitsgrades und der Verdienste seines Vorgängers entgegengebracht worden wäre .

Auch ein Magath hätten den SV Darmstadt 98 nicht gerettet

Zwischen Trainerteam und Mannschaft sind nach außen keine Dissonanzen oder gar Risse gedrungen. Am Ende der Rückrunde bestand zudem noch die realistische Chance, die Klasse zu halten, da der Abstand einholbar erschien. Nicht zu vernachlässigen der finanzielle Aspekt, welcher mit einer Beurlaubung des bis 2027 gültigen Vertrags des Übungsleiters (Warum eigentlich so lange?) einhergegangen wäre. Präsident Rüdiger Fritsch verwies darauf, dass es gebe keine Garantie für einen erfolgreichen Feuerwehrmannrettungseinsatzgebe. Diesen Abstieg hätten wohl wirklich weder Pep Guardiola, noch ein Huub Stevens oder gar ein Felix Magath verhindert.

Die Mannschaft schaffte es trotz allem gelegentlich, mehr als nur spielerische Akzente auf die Plätze zu bringen, was womöglich auch ein Beleg für die oft zitierte Geschlossenheit und eine lange entwickelte, flexible Spielidee ist. Es mangelte in der Regel nicht an Wille und Einsatz, oft jedoch an Effizienz vor dem Tor, Schwächen im Aufbau und Stabilität im Zweikampfverhalten.

Bestimmt fehlte auch manchmal der Mut, vielleicht war die taktische Herangehensweise speziell gegen die direkte Konkurrenz zu oft nicht richtig, oder konnte nicht umgesetzt werden. Lieberknecht ist bekannt dafür sich anzupassen. Andere ziehen ihr Ding durch (Als Blaupause hierfür sei das Union Berlin der Saison 22/23 herangezogen, bei dem man in Heimspielen anhand des Spielverlaufs noch nicht mal erkennen konnte, ob die Mannschaft führt oder zurück liegt).

Pluspunkte wertschätzen

Insbesondere unter dem Aspekt, was alles über dieses Team hineinbrach, und der Tatsache der deutlichen Überlegenheit vieler Vereine in diversen Belangen sollten die erwähnten Pluspunkte wertgeschätzt werden, selbst wenn es schwerfallen mag. Die Truppe leistete sich zudem keine extremen Undiszipliniertheiten, die zu vermeidbaren Karten geführt hätten oder noch mehr Unruhe heraufbeschworen hätten,

Fans jagten Spieler nicht vom Vereinsgelände nach Schalker Manier, obwohl es für manche Vollblutproleten in Darmstadt wahrscheinlich ausreichend Anlass gegeben hätte. Nürnberger und Klarer haben den Verein verstärkt und sollten in der 2. Liga unter normalen Umständen herausragen. Schuhen konnte sich in der Rückrunde deutlich steigern, und musste ligaweit mit die meisten Torchancen vereiteln. Vilhelmsson ist ein Hoffnungsträger, wenn er endlich von Blessuren verschont bleibt, die ihm zu oft seinen Rhythmus und die Form raubten, da seine Entwicklung auf keinen Fall abgeschlossen ist.

Mehlem bewies als einziger Mann neben Skarke uneingeschränkte Bundesligatauglichkeit, obwohl er sich zweimal das Bein brach. Für Aaron Seydel sollte die Zeit neben dem nachvollziehbaren Abgang von Mathias Honsak ebenfalls abgelaufen sein. In Maglica konnte eine aktuelle Stammkraft langfristig gebunden werden, der Potenzial besitzt und irgendwann in der zweiten Liga zum begehrten Spitzenspieler reifen könnte.

Was Schuster einst besser machte

Trainer Dirk Schuster analysierte einst die Chancen auf den Klassenerhalt, indem er Aufsteiger aus der Vergangenheit betrachtete. Er untersuchte die Mannschaften bezüglich ihrer Verstärkungen mit etablierten Bundesligaspielern. Daraus zog er den Schluss, seinerzeit dieses Model auf den SVD zu übertragen, da es die Wahrscheinlichkeit erhöhte, die Bundesliga zu halten.

Es drängt sich daher die Frage auf, ob eine vergleichbare Vorgehensweise erneut möglich gewesen wäre? Hätte man so das Desaster ’24 einfach durch den Schornstein jagen können, bevor es sich anbahnen hätte können, trotz einer mittlerweile viel zu weit gespreizter Kapitalschere am Rande der Wettbewerbsverzerrung. Ein Sandro-Wagner-Klon, Koka-Rausch-Wiedergänger oder Peter-Niemeyer-Zwilling hätten garantiert keinen schlimmeren Schaden angerichtet als diejenigen, die es vor kurzem noch auf den Plätzen versuchten.

Zu wenig Ausbeute gegen direkte Konkurrenten und die Winterneuzugänge

Fakt ist, dass gegen den bis kurz vor der Endphase der Runde wackeren VfL Bochum, die
eigenschaftslose Borussia aus Mönchengladbach, später energiegeflutete Mainzer, den
allerdings eigenverschuldet bemitleidenswerten 1. FC Köln, Wolfsburg und in der Rückrunde beim neuen Union Berlin viel zu wenig Punkte eingesammelt wurden, um bestehen zu können. Es waren bloß sieben aus zwölf Partien.

Als besonders schlimm blieben die Hinspiele gegen Bochum und Köln in Erinnerung, besonders in letzterem wirkte die Mannschaft nicht kontrolliert defensiv, sondern mut- und zum Teil kraftlos.
Richtig ist auch, dass das Team 23/24 nie in einen wenigstens verhalten positiven, ergebnisbasierten Fluss geraten konnte, der ihm das dringend nötige Selbstbewusstsein, Lockerheit, verliehen hätte (Es wäre eine von mehreren gebrauchten Eigenschaften gewesen, um die qualitative Unterlegenheit kompensieren zu können).

Die im Winter verpflichteten Leihspieler waren in Gänze keine echten Verstärkungen. Warum
Sebastian Polter beim kriselnden Zweitligisten Schalke 04 aussortiert wurde, konnte man in Darmstadt schneller bestaunen, als allen Beteiligten lieb war und das, obwohl er der Typ Stürmer ist, den man im dauerbeschädigten Fraser Hornby verpflichtet geglaubt hatte. Gerrit Holtmann konnte aufgrund von Blessuren nur ansatzweise sein Können zeigen.

Nur Julian Justvan konnte wenigstens phasenweise überzeugen, war für Darmstädter Verhältnisse torgefährlich. Sein Defensivverhalten wirkte allerdings in einigen Spielen ausbaufähig. Skarke, einer der konstant stärksten Lilien-Spieler, wird nicht zu halten sein. Union Berlin dürfte sich über eine Verstärkung oder einen angemessenen Transfererlös glücklich schätzen. Diesen würde der Sportverein nicht stemmen wollen und können, Skarke dürfte nicht unter drei Millionen Euro zu haben sein.

Die Lehren aus dem Fall Stojilkovic

Das seit Jahren bekannte Transfergebaren des SV Darmstadt 98 ist durch und durch solide. Es sollte trotzdem vielleicht überdacht werden, nicht nur, weil mutmaßlich eine zweistellige Anzahl Spieler den Klub verlassen werden. Das Team braucht auch angesichts der maßlosen Negativerlebnisse dringend eine Blutauffrischung, um nicht Gefahr zu laufen bei einem schlechten Start oder wiederholtem Ausscheiden in der ersten Pokalrunde in große Unruhe oder Lethargie zu verfallen.

Doch Geld allein wird es nicht richten. Pikanterweise kam ein Filip Stojilkovic, einer der teuersten Neuzugänge der Lilien-Geschichte, nach schwacher Hinrunde in Darmstadt und seiner Ausleihe im Winter nach Kaiserslautern nicht einmal beim Fast-Zweitliga-Absteiger zum Zug, wo er zum Schluss in der zweiten Mannschaft eingesetzt und ausgewechselt wurde.

(Teil zwei des Gastbeitrags folgt am Donnerstag)

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Bildquellen

  • bvb-SVD-2023-24-combi-medien-0056: Arthur Schönbein

3 Kommentare

  • Katze vom Bosporus sagt:

    Jetzt gilt es die richtigen Schlüsse zu ziehen und gute Entscheidungen für die neue Saison zu treffen. Die letzte Saison ist schon abgehakt. Ich lasse mich jetzt überraschen.

  • Raininho sagt:

    Ist das das Bewerbungsschreiben für die Heinerstube? Flockiger Schreibstil, gute Zusammenfassnung soweit. Ist aber ein bischen wie Bohren in offenen Wunden. Vergleiche mit früheren Protagonisten finde ich wenig sinnvoll, andere Umstände, andere Mitspieler. Stoilko würde ich ebenfalls herausrechnen, womöglich hat er Dinge kommen sehen, die uns erst später sichtbar wurden. Ungute Entscheidungen gab es ja wohl einige. Sieht von ausßen womöglich nach Unprofessionalität aus, kann aber eine Reaktion auf die Situation gewesen sein. Der Teamgeist, den es angeblich gab, hab ich auf dem Platz nicht gesehen, vielleicht ist er geflüchtet. Ich wünsche ihm auf jeden Fall ein bessere Saison. Zu Beginn hat er uns doch allen Spaß gemacht.

    • Robert sagt:

      Hallo,

      danke für dein Feed-Back ! Nein, dies ist kein Bewerbungsschreiben, mir geht es darum, den Lilien Blog zu unterstützen. Zudem hoffe ich das es Lilien Freunde gibt, die meine Beträge lesen. Das „Bohren in offenen Wunden“ konnte und wollte ich mir nach dieser schlimmen Saison nicht verkneifen. Es kann nur besser werden. Die Sonne scheint !

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