Nach dem schwachen Saisonstart ist der SV Darmstadt 98 seit nunmehr sechs Spielen wettbewerbsübergreifend unbesiegt. Der Trainerwechsel ist dafür ein großer Faktor – aber nicht der einzige. Es hat sich in den vergangenen gut zwei Monaten einiges geändert in und mit der Mannschaft sowie um sie herum.
Zwei Jahre hatte Torsten Lieberknecht sehr erfolgreich bei den Lilien gearbeitet und ein bestenfalls leicht überdurchschnittliches Zweitliga-Team in die Bundesliga geführt. Doch die Hypothek der völlig verkorksten Erstliga-Saison war zu groß. Nach dem sportlichen Offenbarungseid in Elversberg wirkte Lieberknecht ratlos, fühlte sich von der Mannschaft im Stich gelassen und warf entnervt hin. Mit Florian Kohfeldt kam ein Nachfolger, der in mehreren Punkten andere Ansätze verfolgt.
Zwei komplett unterschiedliche Typen
Lieberknecht ist der Kumpeltyp, der sein Herz auf der Zunge trägt. Er gab sich bei den Lilien betont nahbar, identifizierte sich mit Haut und Haar mit Verein und Stadt, wie er auch selbst immer wieder betonte. Kohfeldt ist zwar nicht unnahbar, aber distanzierter, hält beispielsweise seine Familie komplett aus der Öffentlichkeit.
Lieberknecht analysierte Partien und Gegner in seinem Pfälzer Dialekt manchmal eher kursorisch, aber oft launig und emotional. Kohfeldt liefert dagegen in rhetorisch-geschliffenem Hochdeutsch abgewogene, messerscharfe und häufig druckreife Analysen.
Diese Klarheit zeigt sich auch in einigen Personalentscheidungen. Im Gegensatz zu Lieberknecht, der gerne mal einen Nachwuchsspieler ins kalte Wasser warf, ist Kohfeldt deutlich zurückhaltender bei solchen Einsätzen. Weder ein Fabio Torsiello, noch ein Othmane El Idrissi kamen unter ihm bislang zum Einsatz. Seine Haltung begründet Kohfeldt mit dem Leistungsprinzip und einer anderen Herangehensweise an den Einbau von Talenten (siehe Lilienblog-Beitrag).
Zudem kassierte der neue Coach Lieberknechts Pokal-Einsatz-Versprechen für Ersatz-Torhüter Karol Niemczycki und degradierte diesen sogar zur Nummer drei (siehe Lilienblog-Beitrag). Auch diese Entscheidung legte er nachvollziehbar, aber durchaus mit Empathie für Niemczycki dar. Im Nachhinein betrachtet war Lieberknecht womöglich zu lieb, wollte es gerade bei der Verteilung von Einsatzzeiten allen recht machen.
Systemumstellung
Es ist nicht so, dass Kohfeldt personell oder taktisch alles vom Kopf auf die Füße gestellt hat. Lediglich in zwei Bereichen baute er die Grundformation um. In der Abwehr wechselte er konstant auf die Viererkette – ein System, mit dem Lieberknecht bereits den größten Teil seiner ersten Lilien-Saison auch erfolgreich gespielt und das er vergangene Saison zumindest zeitweise und mit mäßigem Erfolg angewendet hatte.
Im Mittelfeld wählte Kohfeldt meist – wie Lieberknecht zu Saisonbeginn – eine Doppelsechs mit Kai Klefisch und Andreas Müller. Davor kamen Philipp Förster und Killian Corredor auf den offensiveren Außenpositionen zum Einsatz. Zuletzt ließ er manchmal auch mit einer Raute spielen.
Es fällt auf, das Kohfeldt seine Formation nur selten und wenn, dann nur minimal ändert. Dabei profitiert er aber auch davon, dass relativ wenige Spieler kurzfristig verletzt sind. Unter Lieberknecht wirkten die Veränderungen in der Startformation nicht immer nachvollziehbar und gerade in der vergangenen Saison zunehmend erratisch.
Eingespielte Mannschaft
Kohfeldt vertraut in der Regel auch auf die gleichen Spieler, hat die Aufstellung nicht nur taktisch, sondern auch personell bislang immer nur minimal verändert. Auch hier hat er den Vorteil, dass es seit seinem Amtsantritt kaum kurzfristige Ausfälle gab, die ihn zu Umstellungen zwangen. Diese Konstanz scheint der Mannschaft gutzutun.
Unabhängig vom Trainerwechsel profitiert das weitgehend neu formierte Team natürlich auch davon, dass es seit dem Lieberknecht-Abgang mittlerweile zweieinhalb Monate länger zusammen ist, sich besser kennt und die Abläufe eingeübt sind.
Die aktuellen Leistungsträger Isac Lidberg und Killian Corredor waren bei Lieberknechts Abgang gerade rund zwei Wochen beim SV Darmstadt 98. Philipp Förster, der der Mannschaft nochmals einen deutlichen Qualitätsschub gegeben hat, kam gar erst unter Kohfeldt.
Athletik und Fitness
Kohfeldt spielt eine andere Art von Fußball als Lieberknecht. Dieser Fußball stellt höhere Anforderungen an Laufleistung, Fitness und Athletik. Bei seinem Amtsantritt verfügte die Mannschaft Kohfeldt zufolge nicht über die notwendigen Ressourcen.
Das Training beim SV Darmstadt 98 wurde deshalb angezogen. Mittlerweile sind so die größten Defizite aufgeholt. Bis die Mannschaft jedoch auf dem Stand ist, den der neue Trainer anstrebt, wird es aber seiner Einschätzung nach noch die Wintervorbereitung benötigen.
Inwieweit die erhöhte Fitness dazu beigetragen hat, dass es weniger kurzfristige Ausfälle aufgrund von Muskelverletzungen gab, lässt sich aber nicht eindeutig sagen. Spieler wie Oscar Vilhelmsson und Christoph Zimmermann sind auch unter Kohfeldt mit ihren oft diffusen Verletzungen weiter Sorgenkinder.
Fazit
Kohfeldt und Lieberknecht sind menschlich, aber auch mit Blick auf ihre fußballerischen Vorstellungen zwei sehr unterschiedliche Trainer-Typen mit verschiedenen Ansätzen. Der Aufschwung der vergangenen Spiele zeigt, dass der neue Ansatz Früchte trägt – auch wenn das zunächst eine Momentaufnahme ist und sich nicht alle Verbesserungen allein auf den Trainerwechsel zurückführen lassen.
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Bildquellen
- SVD-ebs-2024-25-blog-0004: Arthur Schönbein
- SVD-bsc-2024-25-blog-0015: Arthur Schönbein