Die Trennung von Trainer Torsten Lieberknecht hat auch Rüdiger Fritsch geschmerzt. Seine Erkenntnis: Selbst wenn man über lange Zeit mit einem Trainer zusammenarbeiten möchte, greifen beim Ausbleiben der Ergebnisse irgendwann die Gesetze des Geschäfts, sagt der Präsident des SV Darmstadt 98 im ersten Teil des großen Lilienblog-Interviews.
Vielleicht gebe der Fußball heute langjährige Trainer wie einst Otto Rehhagel in Bremen oder zuletzt Christian Streich in Freiburg einfach nicht mehr her: „Diese Erkenntnis fällt mir persönlich schwer. Aber ich glaube, ich muss das akzeptieren.“
Herr Fritsch, wie sieht die Bilanz des Präsidenten für das Lilien-Jahr 2024 aus?
Wir haben mit dem SV Darmstadt 98 die zwei Gesichter des Sports erlebt: Auf der einen Seite waren wir von der Bundesliga-Rückrunde enttäuscht, traurig, frustriert. Auf der anderen Seite erleben wir aktuell eine positive Stimmung und spüren, dass sich etwas entwickelt. Und weil wir im Hier und Jetzt leben, ist das so herum natürlich schöner. Grundsätzlich war das, was in der 1. Bundesliga nicht funktioniert hat, nicht so schlimm und schlecht, wie es teilweise gemacht wurde Wir waren schließlich sportlich auf dem höchsten Niveau unterwegs, das derzeit für Darmstadt 98 denkbar ist. Genauso ist jetzt, da vieles funktioniert, nicht alles Gold. Die Wahrheit liegt dazwischen.
Ihr Trainer Florian Kohfeldt hat kürzlich gesagt, dass es bei den Analysen oft nur Schwarz und Weiß gebe und er sich mehr Grautöne wünsche …
Das wünschen wir uns alle, die mit dem Thema täglich professionell zu tun haben. Diese regelmäßigen Extremen von „Wir steigen in die 3. Liga ab“ bis „ Wir steigen wieder in die Bundesliga auf“ ist schon sehr anstrengend. Zum Schluss ist es dann wohl ziemlich einfach: Egal, ob flache Neun oder abfallende Sechs – Fußball ist ein Ergebnissport. Wenn man gewinnt, ist alles super und wenn man verliert, ist alles Mist. Das ist leider so. Aber in gewisser Weise lebt der Fußball auch genau davon. Denn grau will man ja auf Dauer auch nicht sein.
Welche Lehren haben sie aus dem vergangenen Jahr gezogen?
Fußball ist keine Mathematik. Man kann nicht im Detail erklären, warum jetzt auf einmal ein positiver Flow da ist. Genauso wenig kann man erklären, warum viele Bundesliga-Spiele mit einer schlechten Gesamtleistung verloren wurden. Klar hätten wir den Kader anders zusammensetzen können. Wenn es mit den Spielern funktioniert hätte, die den Aufstieg erarbeitet hatten, hätten das alle toll gefunden. Hätte man Erstliga-Erfahrung dazugeholt und es wäre schiefgegangen, hätte es geheißen: Warum holen die die alten Säcke? Hinterher kann man meistens alles darlegen. Hinterher sind viele schlau. Aber wir müssen die Entscheidung vorher treffen. Ich glaube, wir haben keinen Kardinalfehler gemacht. Auch der Abstieg an sich kam für einen Verein wie uns nicht überraschend. Aber die Art und Weise des Auftretens, die oft nicht Darmstadt-98-like war, hat uns wehgetan.
Wie schmerzhaft war die Trennung von Torsten Lieberknecht?
Natürlich sehr. Wir hatten mit fast allen Trainern in den vergangenen Jahren ein gutes Verhältnis. Wenn es dann zu Ende ging, war das nie schön. Torsten hat hierher sehr gut gepasst, gerade mit Blick auf sein Selbstverständnis und das des Vereins. Wir hatten einen klaren Plan, als wir an Torsten auch in der schwierigen Phase der Bundesliga-Saison festgehalten haben. Alle im Verein, auch die meisten Fans und Sponsoren, haben den mitgetragen. Aber auch, wenn man auf Kontinuität setzt und längerfristig etwas aufbauen will, haben nach dem verkorksten Zweitligastart mit dem Rücktritt von Torsten die berühmten Gesetze des Fußballs gegriffen. Das ist auch eine mögliche Lehre aus der Saison: Vielleicht gibt der Fußball heute langjährige Trainer wie einst Otto Rehhagel in Bremen nicht mehr her. Ein Christian Streich in Freiburg ist die absolute Ausnahme gewesen. Wenn die Ergebnisse nicht stimmen, ist in dieser immer schneller drehenden Branche mit all ihren Mechanismen und medialer Dynamik auf einmal alles Schall und Rauch. Diese Erkenntnis fällt mir persönlich schwer. Aber ich glaube, ich muss das akzeptieren.
Ist die Bundesliga eine Nummer zu groß für den SV Darmstadt 98?
Auf jeden Fall ist die Bundesliga auf allen Ebenen eine Herausforderung. Wie man sieht, stehen auch jetzt sogenannte kleinere Vereine im Tabellenkeller. Es ist eine großartige Leistung und Ehre, in einer der Top-Ligen der Welt immer mal wieder dabei zu sein. Aber auf lange Sicht schießt dann eben doch Geld Tore. Um da eine Chance zu haben, muss immer alles funktionieren – so wie bei uns 2015/16, als wir den Klassenerhalt geschafft haben. Doch früher oder später holen einen die harten Fakten des Geschäfts wieder ein. Selbst wenn alle Vereine gleichviel Geld hätten, gibt es Standortnachteile. Großstädte und Metropolen, wie München oder Stuttgart haben einfach ganz andere Möglichkeiten als Darmstadt.
Im zweiten Teil des Lilienblog-Interviews, das am Mittwoch beim Lilienblog erscheint, spricht Rüdiger Fritsch über Veränderungen, Dank und Undank und eine mögliche Zukunft als Präsident des SV Darmstadt 98.