Beim Heimspiel gegen den SC Paderborn soll sie an ihrem neuen Platz wieder den offiziellen Stadion-Betrieb aufnehmen: die Dugena-Uhr. Wobei der Name „Dugena-Uhr“ genau genommen nicht korrekt ist. Denn der Zeitmesser stammt nicht vom einstigen Darmstädter Unternehmen Deutschen Uhrmacher-Genossenschaft Alpina, kurz Dugena, sondern ist eine Sonderanfertigung des Herstellers Telefonbau & Normalzeit (T&N), wie Wolfgang Haubach und Andreas Schlossarek erklären. Die beiden haben die Uhr in Zusammenarbeit mit dem SV Darmstadt 98 technisch restauriert. Es war ein langer Weg mit Hindernissen und Rückschlägen.
Aber von Anfang an: Seit der ersten Bundesliga-Spielzeit des SV Darmstadt 98 in den Jahren 1978/79 ist Dugena mit den Lilien verbunden. Das machen die blau-weißen Dugena-Trikots aus jener Zeit bis heute deutlich. Und eben die dreieckige Uhr im Norden des Stadions am Böllenfalltor über dem Marathontor. Auch wenn nur der Schriftzug zwischen Uhr und Anzeigetafel von Dugena stammte – für die Lilienfans war es stets „die Dugena – Uhr“.
Irgendwann stand die Zeit still
Über Jahre stand sie still. Bemühungen, sie wieder in Gang zu bringen, scheiterten an technischen Problemen: Es gab keine Ersatzteile mehr. Die Uhr aus den 70ern war aus der Zeit gefallen. Die Lilien-Fans nahmen es mit Humor: Zum Start der Bundesliga-Saison 2015/16 schufen sie ein Banner mit dem Spruch „Hier ticken die Uhren noch anders“.
Lilienblog-Autor Frank Horneff schrieb Anfang des Jahres 2023 einen sehr persönlichen Beitrag über die Kult-Uhr. Darin verwies er auch auf die besonderen Erinnerungen, die für eine große Zahl von Lilien-Fans an ihr hängen. Auch deswegen war die Integration der Uhr in das runderneuerte Stadion am Böllenfalltor für viele eine Herzensangelegenheit.
Andreas Schlossarek ging schon als kleiner Junge mit seinem Vater zu den Lilien. Der gelernte Steuerungselektriker las Horneffs Beitrag und wollte die Uhr wieder in Gang setzen. Er nahm Kontakt mit dem Lilienblog und später über Peter Schmidt vom Ältestenrat auch mit dem SV Darmstadt 98 auf.
Der Vereinsvorstand stellte Mittel und personelle Unterstützung bereit. In dem langwierigen Prozess mit zahlreichen Beteiligten profitierte Andreas Schlossarek dann auch von seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Betriebsratsvorsitzender beim GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt.
Die nötigte Expertise fand er bei Wolfgang Haubach. Der ist unter anderem ehemaliger Berufsschullehrer, ausgebildeter Elektromechaniker und Diplom-Ingenieur. Beide kennen sich aus dem Verein Makerspace. Ziel von Makerspace ist es, jedem eine Werkstatt mit Werkzeugen, Maschinen und einer Community rund ums Selbermachen zu bieten.
Verrottet, verrostet und ein Wespennest
Andreas Schlossarek erinnert sich noch an den ersten Ortstermin: „Als wir in den kleinen Schaltkasten unterhalb der Uhr geguckt haben, war da ein Wespennest drin und das Innenleben war zum Teil verrostet und verrottet.“ Um die Uhr genau zu inspizieren, musste sie zunächst vom Mast abmontiert werden. Schnell wurde klar, dass es sich bei der „Dugena-Uhr“ um eine Sonderanfertigung mit einem T&N Uhrwerk handelt, wie man sie auch an Bahnhöfen und in zahlreichen Betrieben findet.
Diese Uhrensysteme erhalten von einer Mutteruhr den Minutenimpuls. Ohne das entsprechende Steuergerät wäre ein Betrieb nicht möglich gewesen. Denn die beidseitigen Tochteruhren lieferten auf der einen Seite zwar die Zeit für die Fans im Stadion, aber auf der anderen Seite auch die Zeit für die Besucher des Hochschulstadions. Der eher unscheinbare silberne Kasten, der einem Videorecorder ähnelt, war beim Abriss der Haupttribüne entdeckt worden und an Vereinsarchivar Thomas Spengler weitergegeben worden. Über ihn und Schmidt vom Ältestenrat landete die Mutteruhr schließlich bei den beiden Tüftlern.
Allerdings stellte sich heraus, dass das Steuergerät unvollständig und die Notstromversorgung unbrauchbar war. Wolfgang Haubach musste einen an das Steuergerät angepassten Empfänger entwickeln. Nur so konnte die Mutteruhr das Signal von der Atomuhr der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig empfangen und auf die Uhr im Stadion übertragen. Die Akkus mussten ebenfalls ersetzt werden.
Außerdem fehlte eine Kontrolluhr, damit die Uhrenanlage ohne direkte Sicht auf die Stadionuhr gestellt werden kann. Eine solche Uhr konnte nur noch defekt erstanden werden. Das gerissene Minuten-Zahnrad aus Kunststoff baute dann Wolfgang Haubach mit Hilfe einer CAD-Zeichnung und einem 3D-Drucker neu.
Wer hat an der Uhr gedreht?
Die beiden Groß-Uhrwerke wurden in Betrieb genommen und synchronisiert. Alles schien glatt zu laufen. Doch es kam anders. Die Aufstellung der Trägerkonstruktion verzögerte sich um mehrere Monate. Und als die funktionsfähige Dreiecksuhr im Dezember einige Zeit offen auf dem Parkplatz hinter dem Stadion stand und auf die Montage wartete, spielte ein Unbekannter mit den großen Minutenzeigern.
„Die sind fast einen Meter lang. Wenn man daran dreht, hat das einen enormen Hebel“, erklärt Wolfgang Haubach. Dadurch brachen aus dem Minuten-Zahnrad der einen Uhr vier Zähne heraus. Bei der zweiten Uhr wurde ein Mitnehmer des Minuten-Zahnrades zerstört. Diese Teile waren Sonderanfertigungen, die es nicht mehr als Ersatzteile gibt.
Die Reparatur der ausgebrochenen Zähne des Minuten-Zahnrades aus Messing war aufwändig. Ein Stück passendes Messing wurde in der erweiterten Lücke des Zahnrades festgelötet. Dann bearbeitete er es auf einer Drehbank nach. Schließlich wurden die trapezförmigen Zähne händisch ausgefeilt. Die Lötstelle sieht man fast nicht mehr. „Das ist hohe Feinwerkkunst, ganz großes Kino“, sagt Andreas Schlossarek anerkennend. So läuft eines der Uhrwerke wieder. Ob das zweite Uhrwerk jemals wieder funktioniert, ist noch nicht absehbar.
„Jeder vernünftige Handwerker wäre schreiend davongelaufen“
So wird die „Dugena-Uhr“, die also gar nicht von Dugena stammt, in der nach dem früheren Lilien-Präsidenten Hans Kessler benannten Kurve zwischen Haupt- und Nordtribüne ihren Dienst verrichten. Sofern nicht doch noch etwas Unvorhergesehenes passiert …
„Wenn ich die Stunden zusammenzähle, die vor allem Wolfgang und ich erbracht haben, um das Räderwerk wieder in Schwung zu bringen und auf die Klippen des Gesamtprozess schaue, dann ist es schon ein kleines Wunder, dass die Uhr jetzt – hoffentlich auf Dauer – wieder läuft“, sagt Andreas Schlossarek. „Jeder vernünftige Handwerker, der davon leben muss, wäre schreiend vor diesem Auftrag davongelaufen.“
(aktualisierte Version, korrigiert Angaben zur Mutteruhr)
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Bildquellen
- dphhy4z6: Stephan Köhnlein
- 5nx2nj62: Andreas Schlossarek
- Dugena_Uhr_neu: Andreas Schlossarek
Für die Uhrzeit am Samstag morgen ein ganz schön aufwendiger Bericht lieber Stephan ; ) Vielen Dank dafür . See you .
Danke Dir für die netten Worte. Und: Der Text war getimet/d, ganz so früh sitze ich normalerweise nicht am Rechner
Toll, dass es noch Handwerker bzw Menschen gibt, die so was können – leider sterben viele alte Handwerksberufe ja aus…!! Haben die beiden toll gemacht – mein Respekt!!
Stimmt! Ohne solide Ausbildung und Berufserfahrung wäre die Reparatur ein frommer Wunsch geblieben. So hat es nach den beschriebenen Rückschlägen geklappt. Mal sehen, ob es beim 2. Uhrwerk auch gelingt!
Bei diesen tollen und eindrucksvollen Vorarbeiten müssen das morgen einfach drei Punkte werden!
Vielen Dank für diesen Artikel. Und vielen Dank an die engagierten Freiwilligen, die mit so viel Herzblut, trotz aller Widrigkeiten, diese ganz BESONDERE Uhr wieder zum Leben erweckt haben.
An den „Dreher“: Hoffentlich hast du dir beim Drehen die Griffel gebrochen.
Muss sagen , das wünsch ich dem auch … Deppen gibt`s halt allerorten .
Gude,
Einfach nur schön unser Stadionuhr!!!!
Toll das es noch Menschen gibt welche die Uhr repariert haben!!
Dafür sag ich Danke!!
Jetzt steht unserem heutigen Heimsieg, nichts mehr im Weg!!
3:1
Nur der SVD!
an dieser Stelle: danke für den schönen Bericht, und danke an alle Beteiligten!
Stimmt! Ohne solide Ausbildung und Berufserfahrung wäre die Reparatur ein frommer Wunsch geblieben. So hat es nach den beschriebenen Rückschlägen geklappt. Mal sehen, ob es beim 2. Uhrwerk auch gelingt!